"In jedem von uns ist das Potenzial, Mörder zu werden"

Reinthaller
Der Schauspieler Ulrich Reinthaller über die Turrini-Premiere, die Abgründe in uns allen und über sein Seminarhaus im Pielachtal, in dem er Philosophie vermitteln will.

Für die Uraufführung von Peter Turrini im Theater in der Josefstadt hat Ulrich Reinthaller zurück zur Bühne gefunden. In dem Stück „Aus Liebe“ – angelehnt an einen wahren Fall – spielt er einen Beamten, der scheinbar anlasslos Frau und Kind tötet.

KURIER: Wie geht es Ihnen mit der Rolle als Mörder?
Ulrich Reinthaller:
Man geht ja auch als Mörder durch die Straßen, irgendwie. Das ist anders, als wenn man als Hamlet durch die Straßen geht. Da überlegt man im Interview schon: Was soll man sagen? Ich habe von dem Gerichtsmediziner Haller gehört, dass allein in Wien etwa 100 ungefasste Mörder frei herumlaufen. Also bin ich sicher schon einmal in der Straßenbahn neben einem gesessen oder irgendwo neben einem gegangen.

Gehen Sie tatsächlich mit der Rolle durch die Stadt?
Nein, das klingt jetzt ein wenig sensationsheischend. Es geht eher darum, den Blick nach innen zu richten und zu schauen: Welches Spektrum gibt es da? Peter Turrini hat bei der ersten Probe eine Brandrede gehalten und gesagt, in jedem von uns wäre das Potenzial, zum Mörder zu werden. Und das glaube ich auch. Es geht darum, nicht zu trennen: Da gibt es einerseits die Mörder und andererseits uns.

Turrinis Text gibt uns kaum Informationen über den Mörder. Überlegt man sich da Biografisches zu dieser Figur?
Ehrlich gesagt kann ich gar nicht anders. Gleichzeitig aber versuche ich, mir diesen Überraschungsmoment vorzustellen: Denn auch der Mörder weiß im Moment, da er mordet, nichts zu seiner Biografie. Er sagt sich ja nicht: Ich hacke diese Frau jetzt tot, weil mich meine Mutter zu wenig beachtet hat. Das sagt dann vielleicht der Therapeut im Gefängnis.

Wie laufen die Proben?
Die Proben laufen sensationell. Ich habe ja mit dem Regisseur Herbert Föttinger noch nie gearbeitet, und das ist wirklich ein Räuberhauptmann. Das ist ein schwieriges Stück, weil man darüber alles und gleichzeitig nichts sagen kann. Und dem eine Richtung zu geben – da braucht es einen Steuermann!

Hat der Autor die Proben besucht?
Peter Turrini war bei der Leseprobe dabei und hat an uns appelliert – es gehe um das Bewusstsein, dass „es“ in uns ist, dass es nicht der da draußen ist. Hätte das Ganze mit uns nichts zu tun, dann müssten wir es ja nicht spielen. Dann wäre es einfach eine geile Chronik-Geschichte, die man irgendwo liest. Wir sind die Gesellschaft, und wenn die Gesellschaft so etwas hervorbringt, dann müssen wir uns damit befassen.

Warum haben Sie so lange nicht Theater gespielt?
Ich habe mir die Sinnfrage gestellt: Als Schauspieler eine Rolle interessant finden hat mir nicht mehr gereicht, weil mir der Überbau gefehlt hat: Wozu gebe ich mich her? Wofür bin ich Werkzeug? Da reicht es mir nicht, wenn es mir ein Regisseur erklärt – ich muss es fühlen! Und das konnte ich zu dieser Zeit nicht. Ich habe vor zwei Jahren ein Seminarhaus in Rabenstein an der Pielach errichtet. In ihm soll ein modernes Bildungsinstitut entstehen, das „Dialogikum Phönixberg“, wo es um die großen Themen der Menschheit geht. Und über diese Tätigkeit habe ich wieder zum Schauspiel gefunden. Man kann über die Rollen so viel finden. Alleine dieser Mörder, den ich jetzt spiele: Was ist das in uns, das plötzlich in die Dunkelheit führt? Was ist Luzifer? Was ist Gott? Wir Schauspieler sind oft so ... kunstfertig, aber das reicht mir nicht, ich möchte in die Tiefe sondieren.

Worum genau wird es in Ihrem Seminarhaus gehen?
Ich werde verschiedene philosophische Räume eröffnen. Philosophie und Politik, Philosophie und Wissenschaft, Philosophie und Psychologie, Philosophie und Kunst. Es soll zum Beispiel um die Quantenmechanik gehen. Wer sich damit beschäftigt, merkt: Newton und Einstein sind an der Endstation angekommen, es kommt ein neues Weltbild: Der Glaube bewirkt etwas, der erschaffende Glaube – und das meine ich nicht religiös.

Wollen Sie künftig wieder öfter Theater spielen?
Das hängt von den Aufgaben ab. Ich bin wieder bereit, mich anzünden zu lassen!

Peter Turrini wurde zu seinem neuen Stück „Aus Liebe“ durch einen wahren Fall inspiriert: Ein Mann erschlug Frau, Kind und Schwiegereltern mit der Axt. Turrini brauchte laut eigener Aussage 37 Fassungen, bis er den gültigen Text gefunden hatte – er wollte weder in die Nähe eines Krimis kommen, noch allzu dick psychologisch auftragen.

Das Mutige: Nichts wird begründet. Warum der Mörder mordet, bleibt ein Rätsel. Um ihn herum setzte Turrini weitere „verlorene“ Figuren in die Handlung, die alle in Wahrheit nur mit sich selbst reden: Zynische Polizisten, eine Witwe, deren Trauer nicht kleiner wird, eine verwirrte Querulantin – und den lieben Gott, der sein Kunststück von der Erschaffung der Welt in der U-Bahn aufführen will, der aber niemanden interessiert.

Regie führte der Hausherr Herbert Föttinger. Die Hauptrolle spielt nach langer Theaterpause Ulrich Reinthaller, 49, dem breiten Publikum aus der TV-Serie „Hallo, Onkel Doc!“ oder aus seinem Doku-Film über den Jakobsweg bekannt. Reinthaller war in der Ära Peymann einer der Stars des Burgtheaters, spielte danach fast nur noch TV- und Filmrollen. Reinthallers Lebensgefährtin ist die Buchautorin Barbara Pachl-Eberhart, die den Unfalltod ihres Mannes und ihrer Söhne schriftstellerisch verarbeitete.

(c) Jan Frankl / Theater in der Josefstadt

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